Zeit gut verschwenden

Einige Berufsgruppen stehen derzeit unter enormen zeitlichen Druck: Gesundheits- und Sozialberufe, Supermarktmitarbeiter, Angestellte in verschiedenen Behörden. Im kompletten Gegensatz dazu gibt es viele Menschen, die momentan so viel Zeit haben wie schon lange nicht mehr, vielleicht sogar wie noch nie zuvor: Wegen Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit, Urlaubabbau. Gleichzeitig fallen die meisten Optionen weg, die man sonst in seiner freien Zeit hätte. Was tun, wenn man fast nichts tun darf?

Der Autor und Pastor John Ortberg hat inspirierende Gedanken darüber geschrieben, warum wir Auszeiten brauchen – und wie wir sie verbringen können. Diejenigen, die momentan eine solche (wenn auch meist unfreiwillige) Auszeit erleben, lädt Ortberg ein, ihre Zeit gut zu verschwenden:

„Zeit gut verschwenden ist etwas, das man lernen muss, denn es gibt gutes und schlechtes Verschwenden. Schlecht ist der Typus „Rumhängen / Fernseh-zappen / wahllos googlen“. Sachen, die weniger Leben in dir lassen als am Anfang. Gut Zeit verschwenden wird dich lebendiger machen und dein Verbundenheitsgefühl mit Gott stärken. Ich unterscheide drei Sorten guter Zeitverschwendung:

1. EINSAMKEIT

Ich dachte immer, Einsamkeit sei intensive geistliche Tätigkeit und konzentriertes Gebet. Weil das bei mir nicht funktioniert hatte ich immer das Gefühl von Zeitverschwendung. Mittlerweise weiß ich, dass es gerade darum geht. Einsamkeit ist Rückzug aus Beziehungen (ich rede hier von einem zeitlich begrenzten Zeitraum), Lärm, Stimulation, Anforderungen – alleine mit Gott sein. Was bleibt übrig, wenn alle Ablenkungen abgeschaltet sind? Die größte Gabe dieses Alleinseins ist Freiheit. Ich werde erinnert, wie wenig es in Wirklichkeit bedeutet, was andere Leute von mir denken. Ich empfinde Frieden. Bibel und Tagebuch können helfen, aber sie sind nicht nötig für diese Zeit. Wesentlich ist das Nichtstun. Und interessant: Genauso beschreibt die Bibel den Sabbat: Nichts tun.

2. GRÜBELN

Eine zweite Form der guten Zeitverschwendung ist für mich das Grübeln, Träumen, Hören. Ich bringe vor Gott, was mich beschäftigt. Familie, Arbeit, Sorge mit Kindern, Gesundheit von Mitarbeitern, Projekte. Ich breite alles vor Gott aus – und höre dann einfach. Dieses Hören ist eine Form des Gebets. Aber es ist Gebet, das Nachdenken, Vorstellungskraft und Fragestellen umfasst. Oft bitte ich Gott am Anfang um Weisheit für die nächsten Schritte. Manchmal schreibe ich Gedanken auf. Oft kommen mir Ideen oder Pläne. Es scheint mir wichtig, Einsamkeit und Grübeln/Hören/Planen nicht zu verwechseln. Wenn ich plane, hoffe ich auf ein Ergebnis. Einsamkeit aber verlangt Kraft ihres Wesens gerade den Verzicht darauf. Wenn ich um Gottes willen die Einsamkeit suche, dann versuche ich gerade nicht, dort etwas herauszuholen. Weil der Druck, etwas zu wollen genau jene Freiheit verhindert, die Gott mir in der Einsamkeit geben will. Beim Grübeln aber hoffe ich gerade auf Klarheit für den nächsten Schritt.

3. „PRODUKTIONSSTEIGERUNG“

Bestes Beispiel für diese Art Zeitverschwendung ist die Kuh, ein Wunder auf vier Beinen, das Milch produziert. Eine Kuh ist den lieben langen Tag erstaunlich unproduktiv. Stundenlang käut sie wieder und verdaut. Der Milch-Download dauert fünf Minuten – die Produktionszeit mindestens zwölf Stunden.

Wer Milch produzieren will, kann das nicht beschleunigen. Genauso sind der Kreativität Grenzen gesetzt. Wer kreativ sein will, muss sich Zeit nehmen, einfach schauen, verdauen. Meine Erfahrung: Je kreativer Leute sind, umso mehr „in die Luft schauen“ praktizieren sie. Produktions-steigerndes Zeitverschwenden ist für mich etwas, das ich einfach um seiner selbst willen liebe. Geschichtsthemen lesen. Ans Meer gehen. Kreuzworträtsel. Freunde anrufen. Holz anzünden im Feuerkorb. Klavier spielen.

Zeit angemessen verschwenden: Wenn du dich innerlich frei fühlst, mit genug Ideen und kreativer Hilfe ausgestattet, dann solltest du vermutlich bei deinen gegenwärtigen Gewohnheiten bleiben. Wenn nicht, dann überlege, wie du deine Zeit besser verschwendest!“

Wo Schwachheit zur Chefsache wird

Lass dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Kor. 12,9)

Schwache stehen derzeit im Fokus. Wir alle wollen mithelfen, um in der aktuellen Krise jene Menschen zu schützen, die aufgrund ihrer Schwachheit – bedingt durch Alter, Krankheit oder Beeinträchtigung – besonders gefährdet sind.

In diesen Tagen laufen die beiden Wohneinrichtungen der DIG im 24-Stunden-Betrieb. Die Betreuung der von uns begleiteten Menschen mit Beeinträchtigungen im DIG-Wohnhaus Windischgarsten sowie der Bewohner unserer Sozialpsychiatrischen Wohngemeinschaft am Adelsmayrhof wird während der gesamten Krise gewährleistet sein. Und das unter großen Schutzmaßnahmen für die Betroffenen. Das stellt uns vor Herausforderungen – aber es ist gleichzeitig ein besonderes Vorrecht, diese so wertvollen Menschen gut begleiten zu dürfen.

Als ich vor fast sechs Jahren die Verantwortung der DIG-Leitung übernommen habe, war ich überrascht davon, wie unterschiedlich Leute in meiner Umgebung auf Menschen mit Beeinträchtigungen reagieren: Einerseits ist mir viel Wohlwollen und Unterstützung für die Arbeit der DIG begegnet, andererseits treffe ich bis heute regelmäßig Menschen, die sich beim Thema „Behinderung“ sehr unbehaglich, ja unbeholfen fühlen.

Ein Vorwurf ist hier jedoch nicht angebracht. Immerhin hat Schwachheit nur wenig Platz in unserer Leistungsgesellschaft und wird daher oft ausgeblendet. In der Wirtschaft und in der Gesellschaft mag Schwachheit wenig Platz haben – aber aus Gottes Blickwinkel wird ihr ein ganz besonderer Stellenwert zugemessen. Mit anderen Worten: Gott hat Schwachheit zur Chefsache erklärt! Diese göttliche Sichtweise zieht sich wie ein roter Faden durch die Bibel und hat schließlich Christen zu allen Zeiten in ihrem Handeln geprägt. Folgendes geschichtliche Ereignis bringt Gottes Sichtweise sehr plakativ zum Ausdruck:

Rom, Mitte des dritten Jahrhunderts nach Christus. Laurentius, Schatzmeister der damals kleinen und verfolgten christlichen Gemeinde Roms, wird durch Kaiser Valerian verhaftet. Dieser fordert von Laurentius die Auslieferung der Schätze der Kirche. Laurentius stimmt zu und verlangt zum Erstaunen des Kaisers mindestens hundert Wagen, um die Schätze transportieren zu können. An dem Tag, den der Kaiser zur Ablieferung bestimmt hatte, erschienen die hundert Wagen – voll mit alten, kranken, schwachen und beeinträchtigten Menschen. Laurentius zeigt sie dem Kaiser als den wahren Schatz der Kirche. Für seine Vermessenheit wird er hingerichtet.

Mit seiner Handlung hat Laurentius ein treffendes Bild für Gottes Sichtweise gegeben: Schwache und bedürftige Menschen sind in Gottes Augen ein unermesslich wertvoller Schatz, unendlich geliebt.

In der Arbeit der DIG genauso wie in der Evangelischen Gemeinde Kirchdorf wollen wir uns ganz bewusst von Gottes Sichtweise prägen lassen. Daraus folgt nicht nur, dass wir uns in eine allgemein sinnvolle und wichtige Arbeit gestellt sehen, wenn wir Menschen begleiten, die auf Hilfe angwiesen sind. Sondern viel mehr noch, wir haben das große Privileg, jene Menschen zu begleiten, die Gott zur Chefsache erklärt hat.

Gleichzeitig ermutigt mich Gottes Sichtweise ganz persönlich dort, wo ich selber an meine Grenzen stoße. Wenn Gott ein besonderes Augenmerk auf diejenigen legt, die auf Hilfe angewiesen sind, dann hat er auch einen besonderen Blick auf mich, wenn ich an meine Grenzen komme. Gott erlaubt Schwäche. Er erwartet nicht, dass wir als geistliche Superhelden durchs Leben gehen. Als Paulus mit seinen eigenen Begrenzungen und Unzulänglichkeiten kämpft, wird er von Jesus Christus in dieser Schwachheit mit folgenden Worten ermutigt: „Lass dir an meiner Gnade genügen. Denn meine Kraft ist in den Schwachen mächtig.“ (2. Kor. 12,9).

P.S.: Der letzte Gottesdienst in Kirchdorf, der vor dem Erlass der Ausgangsbeschränkungen und Versammlungsverbote stattfinden konnte, wurde am 8. März 2020 von Betreuern und betreuten Mitarbeitern der DIG-Tagesheimstätte in Kirchdorf gestaltet. Sehr viele Gäste füllten die Kirche bis zum letzten Platz. Was für ein würdiger Abschlussgottesdienst vor der aktuellen Zwangspause!

Gott verstehen …?

Ponte vecchio, Florenz

Bilder schwirren mir durch den Kopf, Bilder von Urlaubsreisen nach Mailand, Siena, Florenz; schöne Erfahrungen in einem schönen, idyllischen Land, voll gastfreundlicher Menschen. Dazwischen drängen sich unerbittlich die Bilder von Kranken in den Intensivstationen der Lombardei, von überlastetem Krankenhauspersonal, von Särgen, die mit Militärfahrzeugen weggebracht werden; alles vermischt mit Berichten über Sterbende, die ohne Abschied von den geliebten Menschen ersticken.
Da schreit das Warum in mir laut auf. Warum müssen gerade die Menschen, die nach dem 2. Weltkrieg das Land aufgebaut haben, auf diese Weise sterben? Eine Vielzahl von Warum schließen sich an, die besser ungesagt bleiben.
Doch dann kommt mir der Losungsvers vom letzten Dienstag in den Sinn:

Gott ist gerecht in allen seinen Wegen und gütig in allen seinen Taten
(Psalm 145, 17)

Kann ich das glauben? Alles in mir sträubt sich dagegen, denn die gerade erfahrene Realität scheint dagegen zu stehen.
In mir ist ein gordischer Knoten, den zu lösen unmöglich erscheint. Ich hadere mit mir und mit Gott.

Bis mir klar wird:
Will ich das glauben, will ich Gott vertrauen? Das ist die entscheidende Frage und gleichzeitig auch die Antwort.
Weitere Worte aus der Bibel schaffen sich Raum in mir:

Denn meine Gedanken sind nicht eure Gedanken, und eure Wege sind nicht meine Wege, spricht der HERR; sondern soviel der Himmel höher ist denn die Erde, so sind auch meine Wege höher denn eure Wege und meine Gedanken denn eure Gedanken.
(Jes. 55, 8,9)

und aus Hiob

Du hast gefragt:
›Wer bist du, dass du meine Weisheit anzweifelst
mit Worten ohne Verstand?‹
Ja, es ist wahr:
Ich habe von Dingen geredet, die ich nicht begreife,
sie sind zu hoch für mich und übersteigen meinen Verstand.
(Hiob 42,3)

und

Jesus Christus spricht: Ich bin bei Euch alle Tage bis an der Welt Ende
(Matth. 28, 16-20)

Die Fragen – und sie werden vermutlich bald auch Österreich betreffen – und der Schmerz sind geblieben, aber ich will Jesus vertrauen, dass er das, was geschieht letztlich zu einem guten Ende führt. Ich möchte jetzt alle, die so oder ähnlich denken, ermutigen, ihr Vertrauen auf Jesus Christus zu richten und mutig in die nächsten Wochen zu gehen.

ganz nahe …

»Wenn ihr seht, dass dies geschieht, so wisst, dass er nahe vor der Tür ist.« (Markus 13,29)

Sagt mir einer (bzw. ganz richtig: er hat es über Signal geschrieben in Zeiten des social distancing): »Seuchen sind ja auch ein Zeichen der Endzeit.«

Also abgesehen von der Frage, ob die derzeitige Epi- bzw. Pandemie schon als Seuche zu bezeichnen ist (lassen wir das einmal offen), stimmt diese Beobachtung z.B. nach Lukas 21,11 natürlich: Jesus nennt auch Seuchen als Zeichen der Endzeit.

Nur: Was höre ich, wenn der Begriff »Endzeit« fällt?

Kriege, Katastrophen, schrecklich, schrecklicher, noch schrecklicher … »Das Ende ist nah!«?

Oder doch das, was Jesus sagt: »Wenn ihr seht, dass dies geschieht, so wisst, dass Er nahe vor der Tür ist.«

Nein, Corona bedeutet nicht, dass »jetzt aber wirklich ganz bald das Ende der Welt kommt.«

Aber es ist ein weiteres Zeichen, dass »Er« – Jesus – nahe ist.

»Nahe« muss nicht »bald« heißen. Kann es natürlich; aber Jesus sagt Selbst ein paar Verse später, dass das »Wann« niemand weiß, nicht einmal Er Selbst (damals, als Er sichtbar auf der Erde war), nur der Vater.

»Nahe« heißt zunächst einmal »nahe«: Er – Jesus – steht schon hinter (oder vor, je nachdem, wie ich es mir vorstellen will) der Türe.

Er hat schon die Hand auf der Klinke.

Wann Er sie drückt, das ist Seine Sache. Aber Er ist schon da. Ganz nah

Pfarrer Willy Todter

Segen und Leben bis in Ewigkeit

„Siehe, wie fein und lieblich ist’s, wenn Brüder einträchtig beieinander wohnen! Dort verheißt der HERR Segen und Leben bis in Ewigkeit.“ (Psalm 133,1.3)

Gottes Segen lässt sich nicht verdienen. Er wird „verheißen“. Gott will uns aus lauter Liebe seinen Segen schenken, unbedingt und unaufhaltsam. Sein Segen ist zeitlos, ewig. Gottes Segen geht im Himmel weiter. Großartig ist das! Wie Gott seinen Segen schenkt, dafür benutzt der Psalm zwei Beispiele: Öl und Tau. Duftendes Öl gilt als belebende Erfrischung für Haut und Haar. Tau ist für die Pflanzen in trockener Hitze reine Lebensquelle. Allein schon durch seine Schöpfung sagt Gott: „Ich bin da. Und ich will euch immer wieder beschenken.“

Daran will Gott aber auch uns beteiligen. Denn unser Psalm will vor allem daran erinnern, wie wichtig und wie erfrischend eine herzliche und offene Gemeinschaft ist: Einträchtig beieinander zu „wohnen“, statt andere auszugrenzen und abzuqualifizieren, andere zu unterstützen und zu ermutigen, das ist unser Ziel. Da sind wir gefragt, mutig und offen auf andere zuzugehen. Denn Gottes Segen trägt uns alle.

Gesegnet
Selig die, die über sich selbst lachen;
sie werden immer genug Unterhaltung finden.
Selig die, die einen Berg von einem Maulwurfshügel unterscheiden;
sie werden sich viel Ärger ersparen.
Selig die, die schweigen und zuhören;
sie werden dabei viel Neues erfahren.
Selig die, die kleine Dinge ernst und ernste Dinge gelassen nehmen;
sie werden sehr weit kommen.
Selig die, die Gott erkennen und lieben;
sie werden Güte und Freude ausstrahlen. (aus einer Klosterinschrift)

(Anmerkung: Vor zwei Monaten, fast genau ein Jahr nach Joachims Schlaganfall, ist diese Kurzandacht von ihm im Neukirchner Kalender veröffentlicht worden. Wir dürfen somit nachträglich an seinen Gedanken teilhaben.)