Sonntagspredigt vom 22. März 2020

Predigt aufgrund von Jesaja 66, 13

Liebe Schwestern und Brüder in Kirchdorf!

Wenn ich auch heute nicht von Angesicht zu Angesicht mit Euch Gottesdienst feiern kann, so freue ich mich doch darüber, dies auf diesem Wege tun zu können, und grüße Euch ganz herzlich!

Gnade sei mit euch,
von Gott unserem Vater
und unserem Herrn und Heiland Jesus Christus,
Amen!

Das Predigtwort für den heutigen Sonntag ist ein kurzer Satz aus dem Buch des Propheten Jesaja. Dort spricht Gott durch den Propheten zu seinem Volk:

Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

I

Vor kurzem war unsere Tochter mit ihrem kleinen, eineinhalbjährigen Sohn bei uns. Voll Begeisterung war er im Wohnzimmer unterwegs, kletterte auf Sofas, und hat dann, schneller als wir schauen konnten, einen Schritt ins Leere getan, und ist abgestürzt. Kopfüber.
Das hat wirklich weh getan und er hat herzzerreißend geweint.

Unsere Tochter hat ihn aufgenommen, an sich gedrückt, leise mit ihm geredet, ihn gestreichelt, ist kurz mit ihm aus dem Zimmer gegangen,- und fünf Minuten später war sie wieder mit ihm da: er an ihrer Hand, noch ein wenig still, aber schon wieder mit dem verschmitzten Lächeln im Gesicht.

Im Wort für den heutigen Sonntag spricht Gott zum Volk Israel: Ich will euch trösten, wie einen seine Mutter tröstet.

Ein schönes Wort. Und ich brauche es nicht analysieren, hin und her wenden. Die Anschauung lehrt mich, was es meint.

Wie tröstet eine Mutter? Sie tröstet, indem sie da ist, nah ist, in die Arme nimmt.
Der Trost der Mutter ist so einfach wie unüberbietbar. Ihr Dasein ist genug um nach dem Moment des Schocks und des Schmerzes wieder zu sich selbst zu finden, sich dann aus ihrer Umarmung zu lösen und sich zuversichtlich dem Leben und seinen Herausforderungen zu stellen.
Im Handeln einer Mutter gegenüber ihrem Kind erkenne ich etwas von dem, wie Gott ist. Sein Trost ist Zuflucht, neuen Mut finden, und aufs Neue weitergehen.

Dieser Trost ist etwas anderes, als mich zusammenzureißen und die Zähne zusammenzubeißen. Dieser Trost entsteht in der Begegnung mit dem Gott, der mir nahe ist und der mir Freiheit eröffnet.

II

Dieses Wort und das, was in ihm steckt, kann uns bewahren vor zwei Zerrbildern des christlichen Glaubens.
Das eine hat Friedrich Nietzsche herausgestrichen, wenn er dem Christentum vorwirft, dass es eine Sache für Schwache sei. Eine Sache (in meinen Worten) für Leute, die nie erwachsen werden, ewig Kinder bleiben, ständig getröstet werden müssen, ständig jemanden brauchen, der ihnen sagt, wo es langgeht. Der christliche Glaube, das sei eine Religion der Schwachen, jener, die den Schnuller nie loslassen konnten, die beim Radfahren immer noch die Stützräder brauchen und beim Schwimmen immer noch die „Schwimmflügerl“, weil sie anders nicht zurechtkommen.
Was Nietzsche verzerrt beschreibt, hat doch seinen Anhalt in der Realität. Der christliche Glaube wurde und wird oft primär dafür benutzt, das eigene Wohlbefinden zu unterstützen und zu sichern, nach dem Motto „es tut mir gut“.

Und andererseits wurde das Christentum so hoch gestimmt, auf einen so hohen Ton, dass man dachte, nur wer ins Kloster ginge und diese Herausforderung annähme, der wäre ein wahrer Christ. Nur der, der das „perfekte Leben“ suche, wer auf alles verzichte, nur der würde dem gerecht, was das Christentum meine.
Ich gebe zu, dass dieser Ton unter uns heute nicht so oft zu hören ist, dieses Bild nicht so oft vermittelt wird. Und doch ist es vorhanden. Dort, wo Ideale aufgerichtet werden, an denen man früher oder später scheitern muss,- und die nicht aufgefangen sind durch Vergebung und Barmherzigkeit.

Das Problem mit Zerrbildern ist, dass sie immer einen Aspekt der Wahrheit enthalten. Aber weil sie ihn isolieren, aus dem Zusammenhang nehmen, verdrehen sie die Wahrheit und verderben sie. Halbe Wahrheiten werden schnell zu ganzen Lügen.
Natürlich ist der christliche Glauben Zuflucht, bietet er Trost und Geborgenheit. Aber darin erschöpft er sich nicht.
Und ebenso natürlich ist der christliche Glaube eine Herausforderung, alle Kräfte anzuspannen. Er ist ein Lauf, sogar ein Marathon, er ist Kampf und er verlangt Disziplin. Aber all das ist er nicht allein. Niemand kann pausenlos in der Auseinandersetzung stehen, niemand kann pausenlos laufen, ohne dabei kaputt zu gehen.
Niemand aber kann auch pausenlos in der Kuschelecke bleiben, ohne Schaden an Leib und Seele (und Geist) zu nehmen.

III

Ich rede damit nicht einem spannungslosen Mittelmaß das Wort. Es geht nicht darum, die beiden Aspekte so auszugleichen, dass am Ende beide verdorben sind und etwas überbleibt, in dem beides nicht mehr zu erkennen ist: weder der Trost, noch die Herausforderung.
Eine solche Einstellung hätte etwas damit zu tun, nichts mehr wirklich an sich heranzulassen, allem gegenüber Distanz zu halten. Letztlich: sich Gott und die Menschen vom Leib zu halten.

Worum es geht ist, dass wir es wagen, uns in die Tiefen des Lebens zu begeben, das Leben tatsächlich an uns heranzulassen mit dem, womit es uns begegnet.
Das kleine Kind geht auf das Leben zu, nimmt die Herausforderung an. Das kleine Kind kann das tun, weil es sich in jedem Scheitern, jedem Schmerz als aufgehoben erfährt. Durch diese Zuwendung ist es in kürzester Zeit wieder bereit, sich auf die eigenen Füße zu stellen und Gehen zu üben.
Gerade weil die Mutter im Hintergrund ist, ist da der Mut, sich hinauszuwagen. Denn, alles Scheitern wird aufgefangen, jeder Trost setzt neuen Mut frei.

Wer diese Erfahrung nicht macht, dass nach jedem Scheitern, jemand da ist, der mich in den Arme nimmt, der kann dem Leben gegenüber Angst entwickeln, eine Mutlosigkeit, die ihn lähmt und ihm immer wieder im Wege steht.

Evangelium ist es, den Mut zu haben zu gehen, weil ich darauf vertrauen darf im Scheitern aufgefangen zu werden. Es gibt kein Voranschreiten, kein Wachstum, keinen Reifungsprozess ohne Fehler, Irrwege und Scheitern. Der christliche Glaube lebt aus dem Vertrauen, dass der Gott, der uns Mutter und Vater ist, vergibt. Dass er uns nicht bei unseren Fehlern behaftet. Dass er uns nie sagt: „du lernst es ja doch nie“, „du schaffst das nicht“,- sondern dass er uns immer wieder tröstet und ermutigt. Denn Trost ist Ermutigung.

IV

In Zeiten wie den unseren werden wir es immer wieder erleben: Mutlosigkeit und Verzagen aufgrund von Versagen. Ganz gleich in welchen Bereichen. Sei es in der Familie, in der Arbeit, im Hilfsdienst, im Übersehen von Menschen.
Dann wird es gut sein, dass wir uns ganz alleine zurückziehen in die Gegenwart Gottes. Dass wir ihm, unserer Mutter und unserem Vater, unser Leid klagen.
Im Gebet werden wir die Erfahrung machen, die auch die Beter früherer Zeiten gemacht haben: dass im und aus dem Klagen heraus, das Vertrauen wächst, und aus dem Vertrauen die Zuversicht, und aus der Zuversicht die Dankbarkeit, und aus der Dankbarkeit das Lob. Dass uns Trost widerfährt und wir wieder neuen Mut bekommen, dieses Leben zu leben.
Gerade die alten Worte der Psalmen können hier eine enorme Hilfe sein, wenn die eigenen Worte nicht reichen. Sie können dort eine Hilfe sein, wo die eigenen Worte sich im Kreise drehen und ich nicht mehr herauskomme aus mir selbst.
(Man lese etwa Psalm 4, Psalm 13, Psalm 27 und viele andere!)

V

Unser Predigtwort stammt mit hoher Wahrscheinlichkeit aus der Zeit des Exils. Durch die Eroberung des Landes, die Zerstörung des Tempels und die Deportation in ein fremdes und fernes Land war nichts mehr so, wie es vorher war.
Aber gerade in dieser Situation besinnen sich viele auf die alten Geschichten und Lieder. Was vorher selbstverständlich da war, weil es den Tempel gab und die Priester, das wird nun kostbar. Die Lieder und Geschichten werden gesammelt, weil nun eine Generation heranwächst, die keinen Tempel mehr kennt und kein gelobtes Land.
Und Hoffnung entsteht aus den alten Geschichten: wie Gott sein Volk in der Sklaverei hört und es daraus befreit. Wie das Volk durch Krisen geht und schuldig wird,- und Gott immer wieder vergibt und es nicht verlässt. Hoffnung entsteht aus dem Lesen und Beten und Singen der alten Lieder und Gebete. Denn immer schon hat es das gegeben: Leid und Katastrophen, Krankheit und Aussichtslosigkeit.
Aber gerade in den Zeiten der Krise treibt der Glaube seine Wurzeln tiefer und aus dem tiefen Vertrauen erwächst Mut und Hoffnung.

All das ist auch uns gegeben. Wir müssen unsere Wurzeln wieder tiefer treiben, dass wir diese Schätze erreichen, dass wir in diesen Boden einwurzeln, der uns sowohl Halt als auch Nahrung gibt, Geborgenheit und Zuversicht, Trost und Mut um heute und hier zu tun, was uns aufgetragen ist.

Der Friede Gottes sei mit Euch allen!

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